„Mein Vater war König David”, ein Analog-Projekt, Koproduktion mit studiobühneköln, Orangerie Theater und NS-Dokumentationszentrum Köln, Textfassung: Ensemble, Regie: Daniel Schüßler, im Orangerie Theater
Was uns vererbt wurde – der Elefant in der Familiengeschichte
Wir alle haben Erbstücke in der Vitrine stehen, in meinem Fall einen Teller aus Delfter Porzellan, der einst meiner Urgroßmutter gehörte und der anscheinend den Krieg unbeschadet überstanden hat. Meine Großmutter hat ihn nicht unbeschadet überstanden, den Krieg. Das ist auch Teil meines Familienerbes, doch über den Elefanten im Raum wurde nicht gesprochen. Verborgen bleibt, was ich noch geerbt habe, welche Traumata mich bis heute beeinflussen.
Lara Pietjou, vom mehrfach preisgekrönten Theaterkollektiv ANALOG, hat den Elefanten in ihrer Familie aufgespürt, ans Licht gebracht und künstlerisch bearbeitet. Wir Zuschauenden sind eingeladen durch die Theaterperformance Mein Vater war König David – Über Identität, Familie und das Ich in der Zeit Einblicke in ihre Familiengeschichte zu nehmen. Nach dem Tod ihres Vaters fand sie in dessen Nachlass Zeugnisse über ihre jüdische Abstammung und ihre Vorfahren zur Zeit des Dritten Reichs.
Regisseur Daniel Schüßler (ANALOG) im Gespräch mit dem Orangerie Theater:
Ihr beschäftigt euch mit der jüdischen Familiengeschichte von Lara Pietjou. Wie geht man sensibel, aber dennoch offen an so eine Geschichte heran?
„Wir arbeiten meistens mit biografischen Stoffen und haben große Erfahrung mit der Umsetzung. Unser Ziel ist es, zu einem Kern von Authentizität vorzudringen und diesen durch einen künstlerischen Transformationsprozess laufen zu lassen. Dadurch entsteht hoffentlich etwas, das größer ist als die ursprüngliche persönliche Geschichte, etwas, das uns alle als Gesellschaft betrifft. Dabei lautet unser Motto: So respektvoll wie möglich, so respektlos wie nötig. Mich interessieren Miniaturen aus dem Leben, die verdichtet für größere Metaphern stehen oder Dinge verdeutlichen.“
Wenn ich es richtig verstanden habe, wird ein Videointerview mit Laras Großmutter Teil der Inszenierung sein. Wie verknüpft ihr Bühne und Video miteinander?
„Die Inszenierungsidee basiert auf einem Video mit Laras Großmutter, in dem sie über ihr Überleben im Holocaust und den Tod ihres Vaters in Auschwitz berichtet. Die Inszenierung ist eher eine Rauminstallation, durch die die Zuschauenden hindurchgehen, szenische Miniaturen erleben und in der das Video durch Projektionen eine elementare Rolle spielt. Ergänzt wird das Video durch Interviews, die wir mit Jüdinnen und Juden geführt haben und die die Vielfalt jüdischen Lebens heute in den Blick nehmen. Wir möchten von den Schrecken der Vergangenheit in eine Darstellung übergehen, die die Vielfalt in unserem Land widerspiegelt. Ein Zitat, das ich in dieser Form aus verschiedenen Mündern gehört habe, bringt es auf den Punkt: “Wir wissen viel über jüdisches Sterben in Deutschland, aber wenig über jüdisches Leben.”
Über die Videoebene hinaus mündet jede Vorstellung in einem ungezwungenen Essen mit dem Publikum und einem Gespräch mit einem Gast, bei dem die jüdische Identität in Deutschland im Mittelpunkt steht.
Wer hat das Interview mit Laras Großmutter geführt?
„Das Interview mit der Großmutter wurde 1995 für das USC Shoah Foundation Institute Visual History Archive, das von Steven Spielberg ins Leben gerufen wurde, geführt. Lara fand es im Nachlass ihres Vaters.“
Transgenerationale Vererbung war in letzter Zeit in aller Munde, also der Umstand, dass traumatische Lebensbedingungen unsere Gene nachhaltig beeinflussen. Glaubt ihr, dass man Traumata an die nächste Generation vererben kann?
„Ja, davon bin ich fest überzeugt, und wir haben uns schon in unserem Stück “Geister Ungesehen” mit den Folgen der transgenerationalen Traumaweitergabe beschäftigt. Am Premierenabend sprechen wir mit dem Psychiater Dr. med. Peter Pogany-Wnendt genau über dieses Thema.“
Wenn dem so ist, was bedeutet das dann für unsere Gesellschaft in Deutschland?
„Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wird eine neue Generation traumatisiert, und der Kreislauf wird fortgesetzt. Auch in Deutschland spüren wir in unseren eigenen Familien, wie stark die Nachkriegsgeneration von den Verbrechen der Nazidiktatur beeinträchtigt ist. Ein Grund mehr, die AfD im Auge zu behalten. Übrigens ist es sicher nicht die richtige Antwort auf die drängenden Fragen unserer Zeit, Nazis aus Protest zu wählen.“
Was denkst du, werden wir als Zuschauer:innen aus dem Abend mitnehmen?
„Was Zuschauer:innen mitnehmen können, kann ich nicht beurteilen. Ich hoffe, sie lassen sich von einer packenden Familiengeschichte mitreißen, freuen sich über die Interviewpartner:innen und stellen sich mit uns zusammen Fragen darüber, wer wir sind und wer wir sein wollen.“
Das Interview führte Ines Langel, Orangerie Theater.
ANALOG
Mein Vater war König David –
Über Identität, Familie und das Ich in der Zeit
Theater
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